Der „Wille des Volkes“
Donnerstag, 31. März 2011
Das Volk will Ministerpräsident Schafik absetzen, das Volk will, dass Feldmarschall Tantawi nicht Staatspräsident bleibt, das Volk will, dass Mubarak der Prozess gemacht wird, das Volk will, dass der Oberstaatsanwalt entlassen wird, das Volk will keinen hochrangigen Militär als Innenminister, sondern einen Richter – nein, stop, im Gegenteil …
… das Volk will unbedingt einen Armeeangehörigen als Innenminister, das Volk will, dass einer von drei Mitgliedern des Ministerrats den Streitkräften angehört, das Volk braucht außerdem neue Gesichter auf den Chefetagen der nationalen Presse, das Volk will von Technokraten regiert werden, das Volk weiß aber eigentlich gar nicht so genau, was ein Technokrat überhaupt macht, das Volk will Hamdin Sabahi als Regierungschef, oh nein, Hamdin Sabahi ja nun wirklich nicht, eher schon Ahmed Maher, ach, nicht doch, Wail Ghanim, den will das Volk … Fragt sich bloß: Wer spricht da eigentlich immer „im Namen des Volkes“? Wer legt eigentlich fest, was das Volk will?
Ägypten ist gerade auf dem besten Weg, ins politische Chaos abzudriften, weil es keine Institution gibt, die die Interessen aller Angehörigen der ägyptischen Gesellschaft vertritt. Zahlreiche Gruppierungen behaupten im Moment, repräsentativ für die Wünsche des ägyptischen Volkes einzutreten. Nun kann eine Demokratie solche Anwandlungen an und für sich gut aushalten. Problematisch wird es allerdings, wenn die vermeintlich repräsentativen Forderungen dann durchgesetzt werden, und sich daraus schwerwiegende Veränderungen für die Menschen ergeben, ohne dass sie jemals wirklich nach ihrer Meinung gefragt worden wären.
Hierzu ein einfaches Beispiel: Eine Gruppe junger Leute in Kairo ist der Ansicht, die U-Bahn-Station ‚Mubarak’ solle in ‚Märtyrer des 15. Januar’ umbenannt werden. Prinzipiell eine wunderbare Idee, doch fehlt zu ihrer Umsetzung leider eine rechtliche Grundlage. Vielleicht ist ja die Mehrheit der U-Bahn-Fahrgäste dagegen, weil sie sich dann auf dem Streckenplan nicht mehr auskennt? Wer kann das schon wissen? Die Handvoll Leute, die auf solche Ideen kommen und sie durchsetzen wollen, mit Sicherheit nicht. Was, wenn sich eine andere Gruppierung nun in den Kopf gesetzt hat, eben diese U-Bahn-Station auf Biegen und Brechen in ‚Ramses’ umzubenennen, und dabei ebenfalls behauptet: „Das Volk will das so“?
Manch einem mögen diese Vorbehalte vielleicht kleinkariert vorkommen, aber das Verhalten derjenigen, die glauben, sie könnten dieser Tage jedes persönliche Anliegen durchsetzen, wenn sie es bloß als „revolutionär“ deklarieren, erinnert nun einmal sehr stark an unsere alte Regierung, die ja auch immer gemeint hat, zu wissen, was gut für die Leute ist. Natürlich haben dann bei einem Alleinherrscher Hau-Ruck-Entscheidungen nochmal eine ganz andere Tragweite, weil er ja nicht nur bei der Entscheidungsfindung, sondern auch bei der Durchsetzung der entsprechenden Maßnahmen mehr oder weniger freie Hand hat.
Jedenfalls gibt es, um auf das U-Bahn-Beispiel zurückzukommen, derzeit etliche Personen und Personengruppen in Ägypten, die behaupten, dass sie im Namen des Volkes sprechen, obwohl sie in Wirklichkeit gar nicht wissen, was das Volk überhaupt will. Das gilt für diejenigen, die auf die Straße gehen, weil sie den neuen Kulturminister für unfähig halten, ebenso wie für diejenigen, die einen Sitzstreik organisieren, weil sie im Justizminister ein Fossil aus Mubarak-Zeiten sehen und ihn deshalb weg haben wollen, ohne sich dabei groß um die Konsequenzen zu scheren, die eine solche Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt für Millionen von Ägyptern haben würde.
Jede Gruppierung, und sei sie noch so klein, greift immer wieder gern zur Floskel „Das Volk will es so“, wenn es darum geht, den anderen den eigenen Willen aufzuzwängen, gar so, als wäre die breite Masse unmündig – nur weil sie schweigt. Nach dem Motto: Recht hat, wer am lautesten schreit. Und hier können sich auch ruhig einmal die Benutzer von Facebook und Twitter an die eigene Nase fassen. Insbesondere diejenigen, die sich einbilden, zu wissen, dass jetzt gerade die Einsetzung eines neuen Innenministers oberste Priorität hat, obwohl es für die große Mehrheit der Bevölkerung im Augenblick viel wichtiger wäre, dass die Polizei wieder ihren regulären Dienst aufnimmt.
Nach demokratischen Maßstäben ist es jedenfalls nicht hinnehmbar, dass eine Minderheit versucht, via Internet dem Rest der Gesellschaft eine ganz bestimmte Meinung aufzudrücken. Folgerichtig muss so schnell wie möglich eine öffentliche Institution mit parlamentarischen Strukturen geschaffen werden, in der sämtliche politische und gesellschaftliche Gruppierungen zu Wort kommen. Denn es ist mehr als legitim, dass dringliche Bedürfnisse der Bürger formuliert und im Rahmen konkreter Maßnahmen auch berücksichtigt werden können. Nur so lässt sich eine Aufsplitterung der Gesellschaft in kleine Gruppen, von denen jede meint, sie wüsste am besten, was für die Allgemeinheit gut ist, vermeiden.
Jede Gruppierung, und sei sie noch so klein, greift immer wieder gern zur Floskel „Das Volk will es so“, wenn es darum geht, den anderen den eigenen Willen aufzuzwängen, gar so, als wäre die breite Masse unmündig – nur weil sie schweigt. Nach dem Motto: Recht hat, wer am lautesten schreit. Und hier können sich auch ruhig einmal die Benutzer von Facebook und Twitter an die eigene Nase fassen. Insbesondere diejenigen, die sich einbilden, zu wissen, dass jetzt gerade die Einsetzung eines neuen Innenministers oberste Priorität hat, obwohl es für die große Mehrheit der Bevölkerung im Augenblick viel wichtiger wäre, dass die Polizei wieder ihren regulären Dienst aufnimmt.
Nach demokratischen Maßstäben ist es jedenfalls nicht hinnehmbar, dass eine Minderheit versucht, via Internet dem Rest der Gesellschaft eine ganz bestimmte Meinung aufzudrücken. Folgerichtig muss so schnell wie möglich eine öffentliche Institution mit parlamentarischen Strukturen geschaffen werden, in der sämtliche politische und gesellschaftliche Gruppierungen zu Wort kommen. Denn es ist mehr als legitim, dass dringliche Bedürfnisse der Bürger formuliert und im Rahmen konkreter Maßnahmen auch berücksichtigt werden können. Nur so lässt sich eine Aufsplitterung der Gesellschaft in kleine Gruppen, von denen jede meint, sie wüsste am besten, was für die Allgemeinheit gut ist, vermeiden.